Bild von Krzysztof Pluta auf Pixabay
Am 16. und 17. Juli 1942 wurden von der französischen Polizei Massenfestnahmen in Paris durchgeführt und einige Tage später fand die Deportation von mehreren tausend Juden in die Vernichtungslager Osteuropas statt.
Jetzt anhören:
Die Razzia
Im Süden Frankreichs herrschte 1940 das Vichy-Regime und diese Regierung hatte mit den deutschen Besatzern zusammengearbeitet. In Paris wurde eine Volkszählung durchgeführt, um die Anzahl der Juden festzustellen, bei der insgesamt 150.000 Juden gezählt wurden.
Nach gemeinsamer Planung deutscher und französischer Beamter begannen 1942 die Vorbereitungen für eine Massenrazzia in Paris. Es sollten staatenlose und ausländische Juden zwischen 16 und 60 Jahren verhaftet werden. Nur ein Viertel der Juden, die vor Ausbruch des Krieges in Paris lebten, waren in Frankreich geboren worden; die meisten waren Flüchtlinge aus Osteuropa.
Zunächst wurde angenommen, dass sich diese Razzia nur gegen jüdische Männer gerichtet hat, weswegen viele Männer untergetaucht sind. Aus diesem Grund wurden vergleichsweise mehr Frauen und Kinder verschleppt und die Familien wurden durch die Festnahmen oft getrennt. Mehr als 10.000 Juden konnten sich der Festnahme entziehen, weil sie vorher gewarnt worden waren. 13.152 Juden wurden festgenommen. 8160 von ihnen (4115 Kinder, 2916 Frauen und 1129 Männer) wurden in dem Vélodrome unweit des Eiffelturms zusammengepfercht und mussten tagelang dort aushalten. Kinder, die jünger als 16 Jahre alt waren, wollte die Gestapo ursprünglich gar nicht übernehmen; sie wurden ihr von der französischen Verwaltung geradezu aufgedrängt. Mindestens 4.500 französische Polizisten und Gendarmen waren an der Aktion beteiligt. Die Razzia wird als “la grande rafle du Vel’ d’Hiv'” bezeichnet.
Das Velodrome d‘ Hiver (auf deutsch Winter-Radstadion) mit 17.000 Sitzplätzen war eine beliebte Sporthalle für Spektakel und Versammlungen aller Art. Auch wenn man ganz genau die Erfassung und Verhaftung der Juden geplant hatte, wurde für ihre Unterbringung kaum Vorkehrungen getroffen. Das riesige Stadion und die Zuschauerränge füllten sich mit den hastig zusammen getriebenen Menschen. Es gab nichts zu essen und kaum Wasser. Die wenigen Toiletten waren schon bald unbenutzbar. Von der Juli-Sonne aufgeheizt, herrschten unerträgliche Temperaturen und ein beißender Gestank erfüllte die Halle. Schreie der bedrängten Menschen blieben der Nachbarschaft nicht verborgen. 30 Menschen starben vor Ort. Nach fünf Tagen wurden die Menschen von französischer Polizei in die Durchgangslager gebracht. Die Kinder wurden von ihren Eltern bzw. Müttern getrennt. Von hier wurden ab dem 19. Juli 1942 zuerst die Erwachsenen mit Viehtransportwagen in das Vernichtungslager KZ Auschwitz-Birkenau deportiert. Etwa einhundert der gefangenen Menschen begingen vor dem Weitertransport Suizid. Die bei der Razzia gefangenen Kinder blieben noch einen Monat in den Lagern und wurden ab dem 17. August deportiert und ebenfalls in Auschwitz ermordet. Insgesamt wurden während des Zweiten Weltkriegs 73.853 Juden aus Frankreich deportiert, oftmals unter tätiger Mithilfe französischer Amtspersonen. Nur etwa 2600 von ihnen überlebten den Holocaust.
Gedenken
Seit 1946 befindet sich auf dem Gelände des Velodroms eine private Gedenktafel einer antifaschistischen Organisation zur Erinnerung an die Vorgänge während der Razzia.
Im Jahre 1959 wurde das Velodrome abgerissen und auf dem Gelände wurden Wohnhäuser und ein Gebäude des französischen Innenministeriums erbaut.
Die Beteiligung der Vichy-Regierung sowie französischer Polizeibeamter an dieser Aktion war jahrzehntelang ein Tabuthema in Frankreich. Erst am 16. Juli 1995 gestand der damalige französische Staatspräsident Jacques Chirac die französische Mitverantwortung ein und entschuldigte sich öffentlich.
<< Ces heures noires souillent à jamais notre histoire et sont une injure à notre passé et à nos traditions. >>
Etwa seit dem Jahr 2000 wird der 16. Juli als Gedenktag zur Erinnerung an die rassistischen und antisemitischen Verbrechen des État français und zur Ehrung der Gerechten unter den Völkern Frankreichs landesweit mit Veranstaltungen begangen.
Film
Einen aktuellen Bezug dieses Ereignisses bildet unter anderem die gleichnamige Buchverfilmung Sarahs Schlüssel ab. Das französisch-britische Kriegsdrama pendelt zwischen Vergangenheit und Gegenwart abwechselnd in den Jahren 1942 und 2009.
Die zehn Jahre alte Sarah wird am 16. Juli 1942 im Zuge der Judendeportationen mit ihren Eltern ins Wintervelodrom gebracht. In dem anderen Handlungsstrang recherchiert die US-amerikanische Journalistin Julia in Paris die Deportationen in Frankreich. Sie stößt dabei auf die Geschichte von Sarah, denn ihre Schwiegereltern wohnen in der ehemaligen Wohnung von Sarahs Eltern. Wie die Buchvorlage von der Autorin Tatjana De Rosnay verwebt auch der Film von Regisseur Gilles Paquet-Brenner zwei Zeitebenen miteinander in einem Raum in dem schreckliches passiert ist. So wird über das historische Drama hinaus die schwierige Auseinandersetzung mit dem Holocaust heute dargestellt. Die moderne Zeitebene zwingt den Zuschauer sich in die Geschichte hineinzuversetzen und sich zu fragen, was hätte ich gemacht.
Sarahs Schlüssel ist ein bewegender Film der uns den Wahnsinn des Holocaust noch einmal mit aller Wucht vor Augen führt.